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Nein, in Deutschland fehlen keine 128.000 IT-Fachkräfte - Eine Entgegnung

28.02.2024 | Von: FDS

Ein aktueller Bericht des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) behauptet, dass Deutschland bis 2027 mit einer akuten Lücke von 128.000 IT-Fachkräften konfrontiert sein wird. Doch bei genauerer Betrachtung scheint diese Prognose auf unsicheren Annahmen und unzureichenden Analysen zu beruhen.

Die IW-Studie prognostiziert einen Anstieg von knapp 14 Prozent in der Anzahl der Beschäftigten in IT-Berufen bis 2027, jedoch mit einem angeblichen Fachkräftemangel von 128.000 Personen. Die Studienautoren betonen, dass der Kampf um qualifizierte Fachkräfte zu einem Nullsummenspiel geworden sei und plädieren für verstärkte Anstrengungen in der Berufsbildung, Umschulungen bei Älteren und vor allem für mehr qualifizierte Zuwanderung.

Ein kritischer Blick auf die Methodik der Studie wirft jedoch Zweifel auf. Die Annahme, dass die Nachfrage nach IT-Experten linear mit dem prognostizierten Anstieg der Beschäftigten steigen wird, erscheint simplifiziert. Die Realität ist komplexer und von vielen Faktoren beeinflusst, darunter technologische Fortschritte - Stichwort KI -, Automatisierung und Änderungen in der Unternehmensstruktur.

Ein weiterer Punkt, der hinterfragt werden sollte, ist die Definition von "Fachkräftemangel". Die Studie legt nahe, dass mehr Arbeitskräfte benötigt werden, als der Markt derzeit bereitstellen kann. Doch inwiefern sind Umschulungen und verstärkte Anstrengungen in der Berufsbildung nicht in der Lage, diese Lücke zu schließen?

Die Forderung nach qualifizierter Zuwanderung ist sicherlich berechtigt, jedoch vernachlässigt die Studie die bereits existierenden Initiativen und Programme zur Anwerbung internationaler Talente. Statt pauschal auf eine "stärkere Service-Orientierung" hinzuweisen, wäre eine detaillierte Analyse der bestehenden Hindernisse für Einwanderer und deren Lösung angebrachter.

Die aufgeführten Zahlen, insbesondere die angebliche Lücke von 19.000 Data Scientists, erfordern ebenfalls eine genaue Überprüfung. Es ist wichtig zu klären, ob diese Prognosen auf tatsächlichem Bedarf oder lediglich auf Wunschvorstellungen der Unternehmen basieren.

Die Grundlage der IW-Studie, die lediglich auf einer 14-tägigen Anzahl der offenen Stellenausschreibungen auf Online-Stellenportalen basiert, wirft ernsthafte Fragen hinsichtlich ihrer Aussagekraft und Repräsentativität auf. Die Auswahl dieser Daten als zentrale Messgröße vernachlässigt wesentliche Aspekte des Arbeitsmarktes und liefert somit eine unvollständige Perspektive.

Die Kritik beginnt bereits bei der Erfassungsmethode. Das einfache Aufsummieren von Stellenangeboten ohne Berücksichtigung von Duplikaten oder Mehrfachausschreibungen (Dubletten) derselben Position an verschiedenen Standorten oder über verschiedene Stellenportale hinweg führt zu einer Verzerrung der tatsächlichen Bedarfssituation - von Fake Stellenausschreibungen zur Täuschung von potenziellen Kunden, Geschäftspartnern und Investoren ganz zu schweigen. Unternehmen, die mehrere Niederlassungen haben oder an verschiedenen Projekten arbeiten, könnten die gleiche Position an mehreren Standorten gleichzeitig ausschreiben, was zu einer künstlichen Aufblähung der Zahlen führt.

Ein weiteres entscheidendes Manko der Studie besteht darin, dass das Erfahrungsniveau der ausgeschriebenen Stellen nicht ausreichend berücksichtigt wurde. Die Realität auf dem IT-Arbeitsmarkt zeigt, dass viele der offenen Positionen nicht für Berufseinsteiger, sondern für erfahrene Experten ausgeschrieben sind. Die Nachfrage konzentriert sich oft auf Kandidaten mit einer nachweislichen mehrjährigen Berufserfahrung, spezifischen Fähigkeiten und dem Beherrschen bestimmter Programmiersprachen und Tools. Das Übersehen dieser essenziellen Qualifikationsanforderungen beeinträchtigt die Aussagekraft der Studie erheblich.

Ein weiterer Punkt, der unzureichend beleuchtet wurde, ist die regionale Differenzierung. Die Studie lässt offen, wo genau diese Mangelstellen lokalisiert sind. Die Realität auf dem Arbeitsmarkt zeigt erhebliche regionale Unterschiede, insbesondere in Städten wie Hamburg, München und Berlin im Vergleich zu ländlichen Gebieten oder mittelständischen Unternehmen in Baden-Württemberg. Ohne eine gezielte Analyse der regionalen Verteilung bleibt unklar, wo genau die Herausforderungen bei der Besetzung von IT-Positionen bestehen.

Insgesamt weist die Datengrundlage der IW-Studie erhebliche Lücken auf, die zu einer verzerrten Wahrnehmung des vermeintlichen Fachkräftemangels führen könnten. Eine umfassendere und differenziertere Analyse, die Duplikate, Erfahrungsniveau und regionale Unterschiede berücksichtigt, wäre erforderlich, um eine fundierte Diskussion über den aktuellen Stand und die Herausforderungen auf dem deutschen IT-Arbeitsmarkt zu ermöglichen.

Die IW-Studie hinterlässt den Eindruck, dass sie die Komplexität des IT-Arbeitsmarktes in Deutschland vereinfacht. Eine differenziertere Betrachtung, die verschiedene Einflussfaktoren berücksichtigt und vorhandene Maßnahmen analysiert, wäre notwendig, um die Behauptung eines akuten Fachkräftemangels zu stützen.

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